Weltreise Teil 6

 

Das lustige Bordleben auf der MS Chinkoa von Japan bis Karachi 

Vom Mittwoch, den 8. Oktober bis Samstag, den 1. November 1969 waren wir an Bord des Frachtschiffes MS Chinkoa der British-India-Line.

 Die Fahrt begann im japanischen Hafen von Nagoya. An der Südspitze Japan's machten wir den ersten und in Hongkong den zweiten Zwischenstopp. Unsere Reise endete im pakistanischen Karatschi. Der Bestand auf dem Schiff umfasste rund 70 Mann. Die Offiziere waren Engländer, Schottländer und Australier, die Mannschaft jedoch ausschliesslich Inder. Der Chefingenieur hatte auf dieser Reise seine Frau und sein Kind dabei. Der 2. Offizier wurde von seiner Frau begleitet.

  

Sorgfältig wurde unser Bus am Pier in Nagoya an vier Seilen vom Kran angehoben und in den Bauch der Chinkoa versenkt. Acht Mann verstauten im Laderaum unser Auto an den vorgesehenen Platz. Fest verankert stand das Fahrzeug ganze 23 Tage an Ort und Stelle.

An Bord begrüsste uns der Kapitän und zu unserer Überraschung wurde uns ein indischer Steward vorgestellt, der für unser Wohl zu sorgen hatte. Lobo, hiess der Mann, der rund um die Uhr zu unserer Verfügung stand. Wir hatten auf Steuerbord eine sehr geräumige Kabine mit Doppelbett, sowie Fenstern nach vorn und auf die Seite. Zur Kabine gehörte ein Badezimmer mit Badewanne, WC und Waschtisch. Ein Telefon stand auf dem Nachttisch und dies war die direkte Verbindung zur Kabine von unserem Steward Lobo. Schon am ersten Tag lernten wir das alte, englische Kolonialsystem kennen: Am Morgen um sieben wurde unsere Kabinentüre von aussen aufgeschlossen und kurz darauf stand Steward Lobo mit einem Tablett vor unseren Betten und servierte den "early morning tea". Als wir um acht Uhr im kleinen Speisesaal der Offiziere aufkreuzten, hatten wir unseren Platz rechts vom Kapitän. Hinter uns stand Lobo, der nur uns bediente. Alle Offiziere hatten selbstverständlich einen eigenen Steward. So um 10 Uhr stand ich auf dem obersten Deck über dem Steuerhaus und fotografierte. Zwei Decks weiter unten entdeckte ich Lobo, der mir heftig zuwinkte. Kurze Zeit später war ich in der Nähe des grossen Kamins und als ich mich umschaute, sah ich Lobo auf dem obersten Deck, der mich suchte und mir auf einem Tablett Tee und Biskuits servieren wollte. Später reinigte es unsere Kabine, unsere Kleider und machte die Betten. Aber für die Reinigung vom Bad, WC und Lavabo war ein anderer Inder zuständig. Der war eine Kaste tiefer und wurde von Lobo entsprechend herumkommandiert. Zum Mittagessen und Nachtessen wurden stets mehrere Menus auf einer Karte offeriert und in mehreren Gängen serviert. Man sagte uns: "Wenn ihr das Menu nicht genau kennt, dann bestellt und kostet es und wenn es euch nicht mundet, dann gebt es zurück und bestellt einfach ein anderes Essen - es ist ja alles im Pauschalpreis inbegriffen!" Vor dem Dinner wurde man im Salon zum Apéro eingeladen. Die dienstfreien Offiziere versammelten sich mit uns im eleganten Raum mit einem künstlichen Cheminée. Das Feuer war eine rote Lampe in einem durchsichtigen, roten Plastikrohr. Über dem künstlichen Ofen thronte ein Bild der Königin von England, der stets zugeprostet wurde. Nach dem Dinner zog man sich in den Kinoraum zurück, wo ein jüngerer Offizier alte, amerikanische Spielfilme präsentierte. Einen Tag später wurde derselbe Film der indischen Mannschaft auf dem freien Oberdeck hinter dem grossen Kamin vorgeführt.

  

Bilder obern: Im Salon bei einem, zwei oder drei Drinks vor dem Essen - Am  grossen Esstisch, oben der schottische Kapitän, links Annemarie und Heinz, neben Heinz der 1. Offizier mit Vollbart und die Frau des 2. Offiziers; rechts vorn der 2. Offizier, neben ihm der Chefingenieur und rechts vom Kapitän die japanische Frau des Chefingenieurs. Hinter Heinz steht unser Steward Lobo.       

 

Bilder oben: Blick vom Dach des Steuerhauses nach hinten - der Maschinenraum mit der grossen 6-Zylinder-Dieselmaschine mit 12 (!) Kolben, Kolbendurchmesser 67 cm, Kolbenhub 235 cm, Leistung 6000 bis 7000 PS, Verbrauch pro Tag 30 Tonnen Schweröl - "boatsthrill" ist die obligatorische Rettungsübung auf jeder Seefahrt, hier ein Teil der indischen Mannschaft mit den unbequemen, roten Schwimmwesten.   

Von Nagoya fuhr der Frachter in den Süden von Japan und ankerte im Werkshafen der Yawata Stahlfabrik. Dort hatten wir die Gelegenheit für einen ganztägigen Landgang in die Stadt Kokura, während viele Tonnen Armierungseisen für Bauvorhaben im persischen Golf verladen wurden. Einen Tag später dampfte die Chinkoa zwischen unzähligen Inseln hinaus ins chinesische Meer. Sechs Tage später erreichten wir Hongkong und lagen auf Reede zwischen der Insel Victoria und dem Festland Kowloon. Ganz in unserer Nähe war der Flugplatz von Hongkong mit der sehr gefährlichen Piste auf einem Damm in die Meerenge hinaus. Wir lagen in Liegestühle auf dem Oberdeck und machten Wetten, ob das gerade zur Landung ansetzende Flugzeug die Piste punktgenau trifft oder die Landung im letzten Moment abbrechen und eine Runde um den Victoria Peak (dem kleine Berg auf der Insel) fliegen musste, um eine erneute Landung zu versuchen. Mit dem Feldstecher erkannten wir Flugzeuge, die bis zu vier Mal eine Landung abbrechen mussten! Später wurde die Landungspiste verlängert und heute gibt es einen neuen Flughafen im Landesinnere.          
An einem Abend erzählte ich dem Kapitän, dass wir eigentlich mit dem französischen Passagierschiff reisen wollten, denn da hätten wir einen Schwimmbad gehabt. Natürlich sagte ich nichts von der ins Auge gefassten Emigrantenklasse, die gar keinen Zutritt zum Pool auf dem Oberdeck gehabt hätte. Der Käpten liess sich nicht aus der Ruhe bringen und meinte: "Was den Passagieren auf Musikdampfern geboten wird, können wir auch. Morgen werden euch die Matrosen einen Pool bauen." Mit Holzbohlen wurde ein Pool von 4 x 4 Metern gezimmert und mit einer grossen Schiffsplane ausgelegt. Natürlich war die Plane nicht dicht, aber die Feuerwehrpumpe förderte ständig soviel 30 Grad warmes Meerwasser ins Bad, dass dieses ständig überlief. Wir hatten also Badespass pur, sogar mitten in der Nacht!     

 

Die drei Tage in Hongkong nutzten wir für Landausflüge. Allerdings begann der Ausgang mit einem mutigen Sprung am unteren Ende der wackeligen Schiffstreppe zur auf und ab tanzenden Dschunke - Später wurden wir mit derselben Dschunke zum Frachtschiff zurück gebracht und ein weiterer Mutsprung auf die Schiffstreppe war notwendig.

Nach Hongkong sollten wir eigentlich Bombay anlaufen. Ein Funkspruch meldete der Schiffleitung, dass die Ware noch nicht bereit sei und später ein anderes Schiff die Ladung übernimmt. Wegen zwei Nasen wollte der Kapitän nicht in den Hafen einfahren und nur wegen uns die hohen Hafengebühren zahlen. Also tuckerten wir an Indien vorbei und machten erst in Karatschi den nächsten Stopp.

Von den drei Schiffreisen (Atlantik, Pacific und Asien) war das Bordleben auf der Chinkoa mit Abstand am Vergnüglichsten. Luxuriöse Kabine, eigener Steward, der auch mitten in der Nacht köstliche Leckerbissen und Wein in die Kabine brachte, rundum sehr gutes Essen, Abwechslung mit Pool-Parties, Filmabende und auch "Saufgelage", wobei der schottische Käpten oft "übermässig erfrischt" (sprich besoffen) war . Zum Glück führte die meiste Zeit der stets nüchterne 1. Offizier das Schiff. Abergläubisch war der Boss auch, denn von jeder neu geöffneten Whiskyflasche wurde ein Spritzer auf den Teppichboden gegossen. "Für den Teufel", meinte der Käpten und das todernst! Der Seebär (1.Offizier) war ziemlich wortkarg. Aber einmal, mitten im chinesischen Meer, fragte er mich unverhofft nach der Stansstad-Engelberg-Bahn, die damals in den 60er Jahren nach Luzern verlängert wurde. Der Offizier kannte wirklich alles über die Schweizer Eisenbahnen, obwohl er noch nie in der Schweiz war. Aber bei 6 Monaten ununterbrochen auf dem Schiff, muss man sich mit irgendetwas die Zeit vertreiben. In seiner Kabine hatte er eine Menge Literatur über die Schweizer Eisenbahnen. Am 30. Oktober waren wir in Karachi vor Anker und warteten auf die Freigabe zur Einfahrt in den Hafen.        

Der schottische Käpten mit Feldstecher auf der Brücke und hinter ihm der 1. Offizier, wie immer in der weissen Uniform und kurzen Hosen.    

Mit einem Schnellboot kamen die pakistanischen Zöllner angebraust und übergaben uns einen Stapel Formulare um jeden Artikel, den wir temporär in Pakistan einführen, aufzulisten und zwar mit zwei Durchschlägen. Nicht nur das Auto, die Kamera und andere Wertsachen, nein, einfache alles: Unterhosen, Socken, Kugelschreiber, Zahnbürstchen, usw.! "Das sind Arschlöcher", meinte der Käpten, "ihr füllt gar nichts aus, Morgen kommt ein Agent von der Schiffsagentur und der schleust euch durch den Zoll!"

Anderntags konnten wir in den Hafen einlaufen und nachdem unser Auto auf dem Pier stand, kam der Mann von der Schiffsagentur und wir fuhren nicht zum normalen Zollhaus, sondern zu seinem persönlichen Freund, dem Oberzolldirektor von Karatschi Port. Annemarie hütete den VW-Bus, während ich mit dem Pakistani in das Haus des Zollchefs ging. Nach einem kurzen Gespräch knallte der Bürodiener je einen speziellen Stempel in unsere Pässe und der Oberzolldirektor signierte eigenhändig die gestempelte Seite. In einem anderen Büro erhielten wir die notwendigen Papiere für das Auto und an der Hafeneinfahrt traten - nach einer kurzen Intervention unseres Begleiters - die bewaffneten Soldaten ehrfurchtsvoll zur Seite und liessen uns unkontrolliert passieren. Wir waren also mehr oder weniger illegal durch den Zoll geschleust worden und kein Beamter hatte nach den Formularen gefragt. Diese hatten wir auf Rat des Käptens auch nicht ausgefüllt.

Der Pass mit der Unterschrift

Auf den Überlandstrassen in Pakistan 

In der Stadt Karatschi wollten wir im Büro vom pakistanischen Automobilclub eine Haftpflichtversicherung abschliessen. Man hatte uns geraten, darauf zu verzichten und lieber defensiv zu fahren und vor allem nicht zur Nachtzeit, da viele Autos ohne Licht unterwegs seien. Eine Haftpflichtversicherung nütze nicht viel und bis eine Police erstellt wäre, vergingen gut und gern etwa sechs bis acht Wochen. 

  

 

Die Überlandstrassen von Karatschi nach dem Norden waren nur etwa drei Meter breit geteert. Links und rechts war eine Sandpiste für die Fussgänger und Fuhrwerke. Wenn sich zwei Fahrzeuge kreuzten, war es ein ungeschriebenes Gesetz, dass immer das kleinere Auto auf die Sandpiste ausweichen musste, während das grössere Auto - meistens ein Lastwagen - auf der Hartpiste vorbeifuhr. Campingplätze waren unbekannt, jedoch auf unserer Strassenkarte waren so genannte "rest house" eingezeichnet. Das waren eine Art Hotels für Behördenmitglieder und Ausländer, die im Land unterwegs waren. Wir besuchten jeweils solche Häuser, schliefen jedoch in unserem Bus. Bilder oben: Überlandstrasse in Pakistan, in der Mitte geteert, sowie rechts und links Sandpiste - ein "rest house" unterwegs.      

Im Palast von Bahawalpur   

Schon ausserhalb Karatschi bemerkten wir einen VW Käfer mit pakistanischen Kennzeichen, der mal vor uns, mal hinter uns, die leiche Strecke fuhr. Am Abend im ersten "rest house" erblickten wir wieder dasselbe Auto und kamen mit dem Fahrer ins Gespräch. Es war ein Pilot der pakistanischen Luftwaffe in Uniform. Er verbrachte seinen Urlaub zu Hause in Karatschi und war nun auf dem Weg zu seiner Truppe in Lahore. Ich fragte ihn, ob er auch im Urlaub die Uniform tragen müsste. Darauf antwortete er: "Nein, aber ich trage die Uniform immer, so bin ich eine Respektsperson und unterscheide mich von den gewöhnlichen Leuten." Wir mussten auf dem Weg ab und zu Strassensperren passieren, wo Polizei und Armee die Fahrzeuge kontrollierten. Sein Auto und auch unser VW-Bus wurden immer ohne Kontrolle sofort durchgelassen. Aha, darum die Uniform.

Am Abend des zweiten Tages waren wir in der Gegend von Bahawalpur. Der Pilot hielt uns an und erzählte, dass er hier seinen Cousin besuchen werde. Der hätte einen grossen Garten und da könnten wir bestimmt campieren. Also folgten wir dem Pakistani und erreichten eine etwa vier Meter hohe Mauer mit einem Eingangstor und Schildwache. Vor dem Tor waren nur armselige, verwahrloste Hütten aus Blech und Lehm und hinter dem Tor das Paradies mit fein geschnittenen Rasen, Palmen, Springbrunnen und einem riesigen Palast. Der Verwandte vom Piloten entpuppte sich als "Commissioner of Bahawalpur". Wir wurden in einen riesigen Raum in Turnhallengrösse geführt und ein Diener servierte Tee und Gebäck. Wir sassen in weichen Sesseln an einer Schmalseite der Halle und fast zwanzig Meter entfernt sass der Commissioner mit seine Frau an der gegenüberliegenden Schmalseite. Da war noch ein kleiner, frecher Knirps im Raum, offenbar der Sohn des Gastgebers. Der nahm Biskuits vom Teewagen zerbrach sie und warf die Bruchstücke über die Teppiche. Sofort musste ein weiterer Diener die Teppiche säubern und die Eltern amüsierten sich köstlich, wie ihr kleiner Lümmel den alten Mann auf Trab hielt. Wir regten uns auf und hätten dem "Saugoof" am liebsten links und rechts eine Ohrfeige gegeben. Wenn man bedenkt, dass ausserhalb der hohen Mauer viele Kinder leben, die noch nie ein solches Biskuit gesehen, geschweige denn gegessen hatten! 

 

Die ärmlichen Hütten von Bahawalpur ausserhalb und die Zufahrt zum pompösen Palast des Commissioners innerhalb der Mauer  

Der Commissioner offerierte uns eine Übernachtung in seinem Gästehaus am anderen Ende der Stadt und sein Chauffeur werde uns dahin führen. Wir verabschiedeten uns und hatten Mühe der Staatskarosse - ein schwarzer Mercedes 600 mit Standarten vorn links und rechts auf den Kotflügeln - zu folgen. Die Limousine preschte mit dauernden Hupkonzert durch das "Bidonville". Hühner, Radfahrer und Fussgänger sprangen verängstigt zur Seite. Schliesslich erreichten wir wieder ein hohes Mauerwerk mit Wache und dahinter einen riesigen Palast: Unser "Hotel" für die Nacht vom 3. zum 4. November 1969. Ein Diener sorgte sich um unser Wohl und erlitt fast einen Herzschlag, als wir ihm für seine Dienste nicht nur dankten, sondern noch ein Trinkgeld überreichten. Er besorgte uns Getränke aus der Stadt. Coca Cola war nicht zu haben, jedoch das Orangengetränk FANTA. (In der nächsten Folge, sind diese FANTA-Flaschen nochmals Anlass für eine kleine Geschichte)

 

 

Im zweiten Palast am anderen Ende der Stadt "residierten" wir als einzige Gäste - Wandelhalle mit Springbrunnen im Palastinnern.